Georg-Simmel-Zentrum für Stadtforschung

Humboldt-Universität zu Berlin | Georg-Simmel-Zentrum für Stadtforschung | Auszeichnungen | Georg-Simmel-Preis | ‚A praça é minha família.‘- ‚Der Platz ist meine Familie.‘ Der Franklin Roosevelt Platz als Überlebensraum für marginalisierte Bewohner*innen São Paulos, Brasilien.

‚A praça é minha família.‘- ‚Der Platz ist meine Familie.‘ Der Franklin Roosevelt Platz als Überlebensraum für marginalisierte Bewohner*innen São Paulos, Brasilien.

Sophia Wiedergrün

„‚A praça é minha família.‘- ‚Der Platz ist meine Familie.‘ Der Franklin Roosevelt Platz als Überlebensraum für marginalisierte Bewohner*innen São Paulos, Brasilien.“

In den letzten Jahren rückte der öffentliche Raum immer mehr in den Fokus wissenschaftlicher Arbeiten. Da öffentliche Flächen zunehmend in kapitalistische  Verwertungslogiken eingebunden werden, sind „störende“ Akteur*innen mit Verdrängung und Ausschluss aus dem Stadtraum konfrontiert. Was diese Prozesse für die Betroffenen im Konkreten bedeuten, wird jedoch selten thematisiert.

In dieser Arbeit wird anhand des Fallbeispiels des Franklin Roosevelt Platzes in der brasilianischen Metropole São Paulo die Rolle öffentlicher Plätze für von Exklusionsprozessen betroffenen sozioökonomisch schwachen Stadtbewohner*innen skizziert. Da öffentliche Flächen oftmals die letzte Ausweichsmöglichkeit der urbanen Unterschicht darstellen, sind Vertreibungsprozesse im Zuge neoliberaler Stadtpolitiken umso dramatischer und bedeuten oftmals den völligen Entzug ihrer Überlebensgrundlage.

Um die Verwobenheit von Exklusionsprozessen sowie die Vielseitigkeit von Nutzung und

Bedeutung öffentlicher Flächen fassen zu können, wurden im Zeitraum eines Jahres von April 2017 bis April 2018 in Form von teilnehmender Beobachtung, informellen Gespräche und Go-Along Interviews Daten erhoben und in einem Feldtagebuch verschriftlicht. Außerdem wurden auf Grundlage dieses Materials die unterschiedlichen Aufenthaltsräume und Nutzungsformen der Akteur*innen kartiert.

Die Funktionen, die der Platz für die unteren Bevölkerungsschichten einnimmt verweist auf eine starke Notwendigkeit öffentlicher Flächen im Alltag dieser. Die Funktionen sind sehr vielschichtig und komplex, funktionieren jedoch entlang der Exklusionsformen, die arme Stadtbewohner*innen in der kapitalistischen Gesellschaft erfahren. Anhand der Biographien von 7 Akteuren wird deutlich, dass der Platz den Mangel an bestimmten Ressourcen, seien sie materiell, sozial oder kulturell, ausgleichen kann. Er repräsentiert Einkommensquelle durch informellen Handel von Handys, Kleidungsstücken, Lebensmittel oder Drogen, zweites Wohnzimmer, Freizeitort für Aktivitäten wie Inline- oder Skateboardfahren, Netz sozialer Kontakte sowie Identitätsanker und ermöglicht so ein Überleben der Betroffenen trotz des Ausschlusses aus gewissen gesellschaftlichen Bereichen.

Außerdem zeigt sich die Vielfältigkeit und Verflochtenheit der unterschiedlichen Exklusionsformen. So bedingen sich die verschiedenen Arten des gesellschaftlichen Ausschlusses und führen zu einer extremen Anfälligkeit für Störungen. Exklusion ist demnach nicht nur der Ausschluss von formellen, gesellschaftlichen Bereichen, sondern bildet eine komplexe Dynamik von miteinander verflochtenen Kopplungsprozessen, welche dazu führen, dass die Betroffenen in großer Instabilität und Vulnerabilität leben. Diese Exklusionsmechanismen sind immer auch durchzogen von Rassismen und anderen Diskriminierungsformen, die die Tür zur formellen Welt zusätzlich weiter

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